Erstmals seit dem Titelgewinn 2012 stehen die Herren des Berliner HC am kommenden Wochenende wieder in einem Final Four um die deutsche Feldhockey-Meisterschaft. Die Formkurve des Teams zeigt mit neun Siegen aus den letzten zehn Ligaspielen steil nach oben, die Halbfinal-Qualifikation kann der Beginn einer erfolgreichen Zukunft sein. Doch zugleich wird am kommenden Wochenende in Mannheim auch eine Ära zu Ende gehen, denn Martin Häner wird nach dem Saisonende seine Bundesliga-Karriere beenden. „Ich wollte dann aufhören, wenn der Verein in einer guten Position ist und nicht mehr gegen den Abstieg spielt“, erzählt der Olympiasieger von 2012. „Inzwischen sind wir sehr professionell aufgestellt, haben mit Rein van Eijk einen überragenden Trainer, mit Aditya Pasarakonda einen sehr guten Berater, verfügen über eine starke medizinische Abteilung und auch die nötige Breite im Kader, sodass ich mir um die Zukunft der BHC-Herren keine Sorgen mache.“
Eine ganz andere Situation war es, als Häner in der Saison 2004/05 zum ersten Mal für die Zehlendorfer auflief. „Ich bin zur Rückrunde dazugestoßen, wir waren Vorletzter und sind am Ende um einen Punkt nicht abgestiegen“, erinnert der sich der damals 16-Jährige. Das Hockeytalent war kurz zuvor mit dem Lokalrivalen Berliner SC noch deutscher Jugend-Meister geworden, als ihn ein Angebot des BHC erreichte. „Ich erinnere mich heute noch, wie wir mit Martin im Parkcafé am Fehrbelliner Platz saßen und ihn zu uns holen wollten“, sagt Ricki Braun, der damals einer Task Force des BHC angehörte, die sich das Ziel gesetzt hatte, junge talentierte Spieler von einem innerstädtischen Wechsel zu überzeugen.
„Martin war sehr jung, aber ein sehr interessanter Spieler“, erzählt Braun. „Kaum war er bei uns, hat er mit gerade einmal 16 Jahren schon der Startelf angehört.“ Ebenfalls im Parkcafé dabei war auch Stefan Kermas, der damals Co-Trainer der Herren war und Häner zukünftig noch als Assistenztrainer und später auch als Bundestrainer international begleiten wird. Noch knapper als in der Debüt-Saison ging es dann 2005/06 zu, als der BHC nur aufgrund des besseren Torverhältnisses gegenüber dem Bezirksrivalen Zehlendorfer Wespen in der Liga blieb. Jahr für Jahr etablierte sich der Hauptstadtclub dann immer besser im deutschen Oberhaus und schaffte sogar mehrfach den Sprung in die deutsche Endrunde, was schlussendlich auch im größten Erfolg des letzten Jahrzehnts mündete: Der Sieg bei der Heim-DM 2012.
Neben Häner gehörten von den heute noch Aktiven auch Martin Zwicker, Jonas Gomoll, Lukas Kilpper und der sich zurzeit in Elternzeit befindende Anton Ebeling zum Meisterteam. „Martin ist damals vollkommen zurecht zum besten Spieler der Endrunde gewählt worden. Das, was er an dem Wochenende geleistet hat, war unglaublich“, erinnert sich Ricki Braun, Kapitän der Meister-Mannschaft. Dass ausgerechnet in Häners letzter Saison erneut der Sprung ins Final Four gelingt, klingt schon nach einem perfekten Abschluss. Der 32-Jährige selbst kommentiert das Erreichen der Endrunde in gewohnt sachlicher Form: „Das ist ein Riesen-Erfolg und zeigt, dass die Arbeit der letzten Jahre Früchte trägt. Es macht mich sehr stolz, insbesondere da sich seit dem letzten Titel im Club finanziell nichts geändert hat. Bei uns wird nach wie vor keiner fürs Hockeyspielen bezahlt, während die Konkurrenz ganz andere finanzielle Möglichkeiten hat.“
Auch Häner, von Zwicker als einer der besten Innenverteidiger der Welt bezeichnet, hätte die Chance gehabt, dem BHC für ein finanziell lukratives Gastspiel im In- oder Ausland den Rücken zu kehren, doch er hielt den Blau-Roten immer die Treue. „Mir war das Soziale immer wichtiger als das Finanzielle. Mein Freundeskreis und meine Familie sind nun einmal in Berlin und da hatte es für mich immer Priorität, neben dem Hockey Zeit mit den Menschen zu verbringen, die mir wichtig sind, anstatt für ein bisschen Geld in einer Mannschaft zu spielen, in der ich mich nicht wohl fühle.“
Somit feierte der gebürtige Berliner seine größten Erfolge stets im Nationalteam, allen voran der Olympiasieg 2012 in London. Hinzukamen die Bronzemedaille von den Olympischen Spielen 2016 aus Rio de Janeiro, der zweite Platz bei der WM 2010 in Neu Delhi sowie die EM-Siege 2011 und 2013. Nicht zu vergessen ist sein erster großer Titel auf der internationalen Bühne, als er 2009 die Junioren als Kapitän zum kaum für möglich gehaltenen WM-Sieg in Malaysia führte. Das Turnier ist allein deswegen unvergesslich, da es parallel in Singapur und der malaysischen Grenzstadt Johor Bahru ausgetragen wurde. Teams und Offizielle mussten daher während des gesamten Turniers mehrfach die Ländergrenzen passieren und sammelten jede Menge Stempel im Reisepass.
Einer, der Häner von seinem ersten Herrenspiel an begleitet hat, ist Kermas. „Klar, mitunter unbequem und stets teamorientiert. So durfte ich Martin erleben und genau diese Kombination macht ihn für mich zu einer großartigen Spielerpersönlichkeit“, sagt der ehemalige Bundestrainer. Die wortgleiche Beschreibung der „großartigen Persönlichkeit“ wählt auch Vereinscoach van Eijk und erläutert, warum: „Martin geht immer mit einem gutem Vorbild voran, denn er hat sehr hohe Ansprüche an sich selbst. Seine Art der rationalen und stets empathischen Führung gemischt mit Fleiß und Zielstrebigkeit habe ich so vorher noch nie erlebt. Er trifft immer strategische Entscheidungen.“
Auf Vereinsebene kann Häner nicht mit den Titelsammlungen vieler seiner Kollegen aus der DHB-Auswahl mithalten, doch das wollte er auch nie: „Ich habe keinen Groll, dass wir nicht so viele Wimpel wie Köln oder Mülheim gewonnen haben. Ich bin sehr zufrieden, mit dem was ich erreicht habe.“ Und wer weiß schon, was noch kommt. Schließlich wird am Wochenende in Mannheim ja noch eine Meisterschale vergeben. Als im Vorfeld der Saison team-intern die Ziele besprochen wurden, sprachen sich die Jungs für das Final Four aus, mit dem Zusatz: „Das müssen wir für Martin machen.“ Van Eijk blieb dieser Moment im Gedächtnis: „Ich fand das beeindruckend, das zeigt sein Ansehen in der Mannschaft. Zumal Häner selbst zu dem Zeitpunkt mit der Nationalmannschaft unterwegs war.“
Trotz aller Erfolge blieb Häner immer bodenständig und kritikfähig. Van Eijk erinnert sich an eine Situation im Ligaspiel beim TSV Mannheim, als Häner das Spielsystem der Manndeckung ansagte, obwohl der Coach gerne noch in der Raumdeckung geblieben wäre. Als Trainer und Spielführer danach über den Systemwechsel sprachen, fragte Häner, warum van Eijk ihn nicht überstimmt und das Team zurück in die Raumdeckung beordert hätte. „Ich habe zu Martin gesagt, dass ich seinen Entscheidungen vertraue und niemals über den gesamten Platz rufen würde, um für alle hörbar seine Ansage zu ändern“, erinnert sich van Eijk. „Martin sagte jedoch, dass ich sowas sehr wohl machen soll und das zeigt sein Bewusstsein und ist abermals ein Grund dafür, wieso er so eine Wirkung auf die Mannschaft hat.“
Ricki Braun meint: „Ich wünsche mir, dass sie am Wochenende den Titel holen, aber sowas ist natürlich schwer vorher zu sagen.“ Dem stimmt auch BHC-Präsident Dirk Gaßmann zu: „Es gibt natürlich noch einen Grund mehr, dass wir alles versuchen, die Finals erfolgreich zu beenden. Martin ist der beste Innenverteidiger überhaupt in Deutschland. Er hat es verdient, einen würdigen Abschied zu bekommen.“ Teamkollege Martin Zwicker fokussiert sich erstmal nur auf den Samstag: „Ich wünsche ihm, dass wir am Wochenende zwei Spiele haben. Das muss das oberste Ziel sein.“ Damit der Coup gegen den Favoriten aus der Domstadt gelingt, wird es einmal mehr auf Häners Organisationstalent ankommen. Nicht umsonst lautet sein Spitzname in Hockeykreisen „Sheriff“. Zwicker erläutert, warum: „Er hat sein Revier im Griff. Er ist einer, der uns auf dem Platz organisiert, der das Ganze im Blick hat, der verlängerte Arm vom Trainer.“
Van Eijk ergänzt: „Sheriff ist ein cooler Spitzname. Er ist der Chef auf dem Platz. Martin entscheidet, wo es lang geht.“ Dass hier ein ganz Großer heranwächst, hat Ricki Braun schon in den ersten Jahren erkannt: „Martin hat eine unheimliche Übersicht auf dem Platz. Gepaart mit seiner Willensstärke und Konstanz hat er schon sehr früh Verantwortung übernommen und Strukturen geschaffen.“ Und noch eine Eigenschaft hebt van Eijk hervor: „Seine Fähigkeit ein Spiel zu lesen sowie es zu be- und entschleunigen haben nur sehr wenige.“
Zwicker beschreibt, was er an seinem langjährigen Club- und Nationalmannschaftskollegen schätzt: „Seine Disziplin zeichnet ihn aus. Martin ist jemand, der keine halben Sachen macht, egal ob im Privaten, im Berufsleben oder beim Hockey. Dass ist ihm sehr hoch anzurechnen.“ Ähnliches berichtet Braun, obwohl er nach eigener Aussage „nur den Frühling und Sommer Häners Karriere“ bewerten kann: „Martin ist ein unglaublich verlässlicher und stringenter Typ, das ist beeindruckend. Er konnte auch bereits sehr früh und sehr gut reflektieren, hat sehr starke soziale Fähigkeiten und ist im Sport wie im Beruf sehr wissbegierig.“
Parallel zur Hockeykarriere hat der 263-malige Nationalspieler Medizin studiert. Nach einem Semester in Würzburg kehrte er in die Hauptstadt zurück und wurde auch über die Hockeygrenzen hinaus zum Vorbild der dualen Karriere. Inzwischen arbeitet er als Assistenzarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Martin-Luther-Krankenhaus und lässt sich zum Facharzt weiterbilden. Dank der Unterstützung seines Chefs Prof. Dr. med. Wolf Petersen lassen sich sportliche und berufliche Laufbahn überhaupt unter einen Hut bringen. So muss Häner im Gegensatz zu den Kollegen nicht im Schichtdienst arbeiten, sondern macht ausschließlich Frühdienste und das auch nur von Montag bis Freitag.
An sich sollte schon im vergangenen Jahr mit der Hockey-Karriere Schluss sein, damit sich Häner vollends auf den Facharzt und seine kleine Familie konzentrieren kann, doch die pandemiebedingte Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio verschob die Pläne um ein Jahr. „Es war eine schwierige Entscheidung, noch ein Jahr dranzuhängen“, erläutert der Olympiasieger. „Ohne die Unterstützung meiner Frau Simone hätte ich es nicht gemacht, denn wenn die Zeit knapp ist, wird sie bei der Familie abgezwackt.“
Im Jahr 2019 wurden die Häners zum ersten Mal Eltern, vor wenigen Wochen wurde der zweite Sohn geboren. Noch vor den Olympischen Spielen möchte die junge Familie in ihr neu gebautes Haus ziehen. Die Olympia-Nominierung und dann natürlich der Gewinn einer Medaille ist nach dem Ende seiner Bundesliga-Karriere Häners letztes großes sportliches Ziel: „Ich habe sehr viele Opfer gebracht, um mir diesen Traum noch einmal zu erfüllen. Es ist nicht immer einfach gewesen, da ich viel von zuhause weg war.“
Ab Herbst diesen Jahres wird Häner endlich die wohl verdiente Zeit mit seiner Familie haben, dafür aber auf dem Hockeyplatz schmerzlich vermisst werden. „Das ist ein großer Verlust für Hockey-Deutschland. Martin kann man nicht ersetzen, sondern wir brauchen nun viele Spieler, um diese Lücke gemeinsam zu schließen“, sagt van Eijk. „Ich bin davon überzeugt, dass man mit einem Olympiasieger ein Spiel gewinnen kann, aber wir wussten, dass nun der Zeitpunkt des Karriereendes kommt. Wir haben auch bereits daran gearbeitet, eine neue Struktur zu entwickeln. “Präsident Gaßmann resümiert: „Für den BHC geht eine Ära zu Ende und ich bin Martin unfassbar dankbar für die gemeinsame Zeit. Sein persönliches Engagement für den Club und für den Hockeysport an sich steht seinen sportlichen Erfolgen in Nichts nach. Er wird fehlen. „Obwohl Häner nach der Saison erstmal Abstand vom Hockey nehmen wird, schließt er ein Comeback an anderer Stelle nicht gänzlich aus. „Ich könnte mir irgendwann eine Tätigkeit als Mannschaftsarzt vorstellen, das ist derzeit aber wirklich noch Zukunftsmusik und weit weg von spruchreif.“ Da der Mediziner jedoch für seine Zielstrebigkeit bekannt ist, gibt es in einigen Jahren vielleicht doch ein Wiedersehen. Auch sein älterer Sohn Mats ist bereits bei den Allerkleinsten im Club, dem so genannten Hockeykindergarten, aktiv.
Fotos: BHC / Fritz Ebeling, privat